Ich sprach von dir…

Drei geistliche Gesänge nach Texten von Rainer Maria Rilke

für Bariton und Orgel (2018)

 


  1. Gebet (Ich sprach von dir)

  2. Ich finde dich in allen diesen Dingen

  3. Gott (Du kommst und gehst)

 

Information

Das Verhältnis des Dichters Rilke zur Religion und zum Glauben ist ein kompliziertes und zugleich spannendes. In seinem umfangreichen Werk finden sich viele widersprüchliche Zeilen, die sich mal skeptisch, mal vertrauensvoll mit dem christlichen Glauben an Gott auseinandersetzen. Rilke zeigt sich ganz persönlich als Mensch auf der Suche nach echter Gotteserfahrung, eine Suche, die nie eindeutig und entschlossen ist, dafür umso berührendere Aussagen hervorbringt. Besondere Skepsis bringt er die institutionalisierten Form des Christentums entgegen. Sein persönlicher und undogmatischer Zugang zum Glauben zeigt sich auch in den hier ausgewählten Gedichten, zugleich mit seiner wundersam zarten, poetischen Sprache. Das “Gebet” weckt Erinnerungen an die eigene Kindheit, an eine sehr vertraute, unschuldige, vielleicht auch naive Begegnung mit Gott. Im zweiten Gedicht erscheint Gott als allgegenwärtige Kraft, vielleicht als Schöpfergeist, und als Nächster im Sinne der Bergpredigt. Das dritte Gedicht vertieft die vertrauliche Beziehung zu einem Gott, der allgegenwärtig ist und dennoch auf leisen Spuren daherkommt.

The famous German poet Rainer Maria Rilke held a complicated attude towards religion and faith. His extensive work features viewpoints both sceptical and trustful towards a belief in God. Rilke is searching for an honest God experience, a search while being never clear and determined yet creating even more touching statements. An explicit skepticism does he show towards the institutionalized form of Christianity. His personal and undogmatic approach towards faith is shown is these poems, together with his wondrously delicate language. His “Gebet (Prayer)” brings back memories of one’s childhood, of a somewhat intimate, yet innocent and naive encounter with God. The second poem shows God as an omnipresent power and Creative Spirit as well as a neighbor in the sense of the Sermon on the Mount. The third poem deepens the trustful relationsship to a God who is omnipresent but tiptoes into your life.

 

Text

Gebet

Ich sprach von dir als von dem sehr Verwandten,
zu dem mein Leben hundert Wege weiß,
ich nannte dich, den alle Kinder kannten,
für den ich dunkel bin und leis.

Ich nannte dich den Nächsten meiner Nächte
und meiner Abende Verschwiegenheit,
und du bist der, in dem ich nicht geirrt,
den ich betrat wie ein gewohntes Haus.
Jetzt geht dein Wachsen über mich hinaus:
Du bist der Werdenste, der wird.

Ich finde Dich in allen diesen Dingen

Ich finde dich in allen diesen Dingen,
denen ich gut und wie ein Bruder bin;
als Samen sonnst du dich in den geringen
und in den großen giebst du groß dich hin.

Das ist das wundersame Spiel der Kräfte,
dass sie so dienend durch die Dinge gehn:
in Wurzeln wachsend, schwindend in die Schäfte
und in den Wipfeln wie ein Auferstehn.

Du kommst und gehst

Du kommst und gehst. Die Türen fallen
viel sanfter zu, fast ohne Wehn.
Du bist der Leiseste von Allen,
die durch die leisen Häuser gehn.

Man kann sich so an dich gewöhnen,
dass man nicht aus dem Buche schaut,
wenn seine Bilder sich verschönen,

von deinem Schatten überblaut;
weil dich die Dinge immer tönen,
nur einmal leis und einmal laut.

Oft wenn ich dich in Sinnen sehe,
verteilt sich deine Allgestalt:
du gehst wie lauter lichte Rehe
und ich bin dunkel und bin Wald.

Du bist ein Rad, an dem ich stehe:
von deinen vielen dunklen Achsen
wird immer wieder eine schwer
und dreht sich näher zu mir her,

und meine willigen Werke wachsen
von Wiederkehr zu Wiederkehr